Was hältst du? Was hält dich?


In unseren wirbeligen Sommerphasen, voller Reisen und größerer und kleinerer privater Turbulenzen, denken Kathrin und ich immer wieder über das nach, was uns in all dieser Bewegung hält (was uns sicher und fest hält, aber auch, was wir nicht abschütteln können) und was wir halten (was wir mit uns tragen, aber auch, woran wir uns festhalten).

Noch sind wir nicht im konkreten Planen unserer nächsten Schritte, noch stecken wir zu sehr im Sommergefühl und zu wenig wieder an den Schreibtischen – aber wir fühlen schon ein bisschen vor. Stellen uns Fragen danach, wie unsere gemeinsame Arbeit uns Halt gibt, und was für Räume wir für euch halten wollen, sichere Räume, die Halt geben, um anders zu denken, um weiter zu schreiben, um dich zu spüren und dich zu zeigen.

(Vor über zehn Jahren schrieb ich übrigens diese Anleitung zum Augustieren, in der ich von den Fragen spreche, die ich mir im Sommer stelle, und wie viel natürlicher sich das oft anfühlt als zu Beginn des kalendarischen Jahres – das scheint sich also bei mir durchzuziehen 😊)

Uns interessiert diese Bewegung zwischen den verschiedenen Qualitäten des Haltens, und wir wollten ein bisschen genauer in sie hinein spüren. Dafür haben wir uns ein paar Fragen ausgedacht und beantwortet.

Sowohl die Fragen als auch unsere Antworten fügen wir hier ein, zusammen mit der sehr herzlichen Einladung, am Mittwoch diesen Fragen mit uns in der Wir-sind-nicht-alleine-Telko gemeinsam nachzuspüren (den Link dafür findest du weiter unten).

Was hältst du mit festem Griff?

Kathrin:

Mein fester Griff muss sich gerade immer wieder etwas entspannen, vom vielen festen Halten davor. Die Hand zur Faust machen, um die Daumen zu drücken. Einen Text ganz fest zusammenhalten, so dass er eins ist und hält, wenn man ihn loslässt. Räume erschaffen und (die Türen) aufhalten und immer wieder in sie hineinwinken. Alles, was in unterschiedlichen Konstellationen und verschiedenen Räumen geschieht, in mir fest zusammenhalten (oft mit nur einer Hand, weil die andere gerade woanders gebraucht wird), um − schwupps − jetzt hier und – schwupps − jetzt da sein zu können. (Hände, die an so vieles denken müssen, dabei gibt’s doch schon so viel zu fühlen.)

Jetzt möchte ich die Hand zwischendurch auch mal ablegen. Mich trauen, den Griff zu lockern.

Ricarda:

Ich halte fest: Meine gelegentlich schwankende Überzeugung, dass meine Arbeit, meine Kunst, mein Schreiben gebraucht wird. Auch in und gerade in den derzeitigen Tragödien. Meine Überzeugung, dass wir alle dazu gehören, der Glaube an unser aller Freiheit, unser aller Liebe. Meine Ablehnung jeglicher Hierarchie und jeglicher Binarität. Die Flagge, auf der steht: POINT YOUR SHIP DIRECTLY TO THE WIND. Die Hände des Kinds, wenn ich Sprossenwand bin und es wild an mir hoch klettert.

Ich greife nach den Zügeln meiner inneren Pferde, wenn es wieder losgeht, wenn wir einen Ritt unternehmen, dann halte ich sie fest. Die Zügel sind meine Routinen und Rhythmen und Rituale, die Zügel sind meine organisatorischen und strategischen Fähigkeiten, die Kraft und Disziplin, die ich phasenweise einsetzen kann und phasenweise ablegen will.

Was hältst du leicht in der Hand?

Kathrin:

Eine Struktur meiner Tage und Wochen. Ich versuche, zur selben Zeit früh aufzustehen, zur selben Zeit zu frühstücken, zu Mittag und zu Abend zu essen und zwischendrin und drumherum die Dinge zu erledi(n)gen, die rufen (in mir oder von außen). Und an bestimmten Tagen Dinge zu haben, die sie zu diesen bestimmten Tagen machen (z.B. immer sonntags Sonntagssplitter zu schreiben, um ein Gefühl für die Wochen und ihre Übergänge zu bekomme).

(Und manchmal laufe ich am Ende des Tages zum Späti und kaufe mir einen Ayran und trage ihn leicht und kühl in meiner Hand nach Hause, rücke den Stuhl kurz ans Fenster, lege die Beine hoch und trinke den salzigen Joghurt, der auch so schön den Hals kühlt und gehe von dort aus weiter oder auch nicht.)

Ricarda:

Die Blaubeeren, die ich pflücke. Die Zeilen, die ich schreibe. Die Bedeutungen, die zu mir kommen.

Meine vielfältigen Lernprozesse, ihre Wellen und Spiralen, der Rhythmus des Schmetterling-Schwimmstils, den ich Mal für Mal verinnerliche, das Lied, das ich allmählich singen kann, die Scham, die ich immer mehr ablege.

Die Angst, den Sommer zu verpassen. Die Fragen danach, wie es im Herbst weiter geht.

Meinen Schlaf, denn anders kann er gar nicht gehalten werden. Den vollen Kalender, denn anders kann auch der gar nicht gehalten werden. Die Tarotkarten und ihre Signale. Meine ganzen Kämpfe und Bemühungen, die halte ich immer leichter, die übergebe ich dem Wind.

Was steckt in deiner Hosentasche?

Kathrin:

Ideen, auf die ich plötzlich irgendwo komme und die ich dann schnell einstecke wie Steine. Für Räume, die es geben müsste oder Texte, die es geben könnte. (Und all die Begegnungen, nach denen ich mich sehne.)

Und ein kleiner Stein, der, wenn ich ihn in die Hand nehme, lauwarm ist.

Ricarda:

Eine Zeichnung, die ich mir auf die Beine tätowieren will. Lose Zettel in allerlei Farben, mit allerlei Kritzeleien darauf und auch noch leeren Stellen. Pfefferminzöl.

Woran hältst du dich fest?

Kathrin:

Mit meinem Blick, der sich auf etwas legt, was macht, dass der restliche Körper ruhiger atmen kann. (Zum Beispiel auf die Kaninchen hier ganz in der Nähe, die zu einem Hort gehören, und die so viel Freude und Erdung in mir auslösen, wenn ich sie sehe.)

An morgendlichen und wöchentlichen Ritualen, die meinem Tag oder meiner Woche etwas Halt geben.

Am regelmäßigen Notieren.

An (vertrauten) Wegen und Orten und Menschen und Tieren und Bäumen, die ich aufsuche.

An Zeit mit mir allein, die überallhin fließen darf.

Und: Mit einer Hand die andere halten, darum wissen, dass ich zwei habe (und auch noch zwei Füße!).

Ricarda:

An meinen Beziehungen; die Menschen in meinem Leben sind weiterhin mein strukturgebendstes Element.

Am Kompost, also am täglichen Schreiben und täglichen Veröffentlichen, also an Zeit nur mit mir und meinen Gedanken und meinen Gefühlen.

An Veränderung und Selbstbestimmung.

An der riesig üppigen Linde vor meinem Fenster, und dem goldgrünen Licht, das nachmittags durch sie hindurch fällt.

Wann wirfst du die Hände in die Luft?

Kathrin:

Nachdem ich jemandem (mit einem Text) begegnet bin und ich das Gefühl habe, der Person (und dem Text) vielleicht irgendwie ein bisschen weitergeholfen zu haben. Wenn ich einen Raum gehalten und in ihn eingeladen habe und Menschen gerne in ihn gekommen sind, wir gemeinsam darin waren und irgendwie verbunden. Wenn ich etwas geschrieben habe, das mich selbst ein bisschen wach macht (auch durch Berührung) und wenn ich dann vielleicht noch höre, dass es auch etwas mit jemand anderem macht. (Und im Wasser!)

Ricarda:

Bevor ich ins Wasser tauche. Wenn der Wind gut kommt. Sobald ich dich sehe.

Zu all diesen Bewegungen passend noch diese schöne Zeile von Charles Tomlinson in Swimming Chenango Lake:

Und frei zu sein zwischen Griff und Greifen.

Herzlich

T E R M I N E

Co-Working am 12. August

Das Co-Working ist ein Termin für dich und die Arbeit an deiner Website, bei dem wir dich unterstützen, große und kleine Veränderungen an deiner Seite vorzunehmen.

Wir schauen dabei auf das, was schon da ist und helfen dir, von dort aus weiterzugehen: wir stehen dir deshalb sowohl bei ganz praktischen und technischen Fragen als auch bei strukturellen, gestalterischen und textlichen Fragen zur Seite.

Hier findest du mehr Infos und kannst deinen Termin buchen.

Herbst-Schreibwochenende: 1. bis 3. November 2024 (von Freitag Spätnachmittag bis Sonntag Mittag)

Eine Verabredung für dich und dein Schreiben, bei dem wir dich dabei unterstützen (wieder) in das Schreiben zu kommen und dich mit deinen Ideen zu verbinden.

Du kannst mit allen Arten von Texten kommen und erhältst von uns Feedback, Schreibimpulse, Austausch zu Texten und zum Schreiben und natürlich jede Menge Inspiration und Motivation. Und einen herbstlichen Schreibspaziergang :)

Details zum Schreibwochenende

morgens, mittags und abends
das hinzufügen, was gebraucht wird
mir selbst eine hand auf die schulter legen

– Kathrin Bach

Die gute Website

Für Haltung, gegen Perfektionismus. E-Mail ist unsere liebste Art, digital zu kommunizieren. Mails können persönlich und direkt und unaufdringlich sein, mehr Unterhaltung zu zweit als Megafon. Dadurch ergeben sich so schöne und tiefe Dialoge, und dadurch wiederum Beziehungen. Diese „E-Mail-Briefe“ sind unsere Einladung an dich, an diesem Dialog teilzunehmen. An dem Versuch, über diese Bildschirme einen echten Austausch zu wagen.

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